So wie unsere Kinder heute mit den Figuren von Playmobil spielen, so spielten Generationen vor ihnen mit den Zinnfiguren. Das Weltgeschehen wurde in die Wohnstuben geholt, Fantasie und Kreativität ließen "richtige Welten" entstehen. In kindlich naiver Weise näherte man sich dem Geschehen der Vergangenheit und Geschichte wurde plötzlich begreifbar. |
Dabei war es zunächst völlig unerheblich, ob Cowboyleben ,
Seeräuberüberfall, Burgerstürmung getreu den historischen Überlieferungen erlebt
wurde, vielmehr war der Umgang mit den Figuren selbst schon ein Erlebnis. Durch eigenes "Begreifen" konnte
sich das Kind ein Bild machen und so zum "Verständnis der Dinge kommen", wie
Jaques Rousseau und Heinrich Pestalozzi es in ihrer Pädagogik forderten. |
Darf man den Überlieferungen glauben, dann waren es Kinder, die Spangen und Aufnähabzeichen aus Zinn von Pilgern als Spielzeug zweckentfremdeten. Auf den Pilgerabzeichen fanden sich Abbildungen von Heiligen als auch Tiere, wie Ochs, Esel und Schafe. Später im Jahre 1578 wurde erstmals den Zinngießern und Geschmeidemachern die Erlaubnis erteilt, Zinnfiguren als Kindswerk anzufertigen Pilgerabzeichen um ca. 1200 Fundort Magdeburg |
Zunächst fertigte man für den zahlungskräftigen Adel Einzelstücke von Zinnfiguren an. Die Nürnberger Handwerker erhielten bedeutsame Aufträge namentlich aus Frankreich.
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Neben Zinn wurde auch Silber verarbeitet. Ludwig XIV. besaß in seiner Jugend eine Miniaturarmee im Wert von 50000 Talern.
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Eine größere Verbreitung
erlebte die flache Zinnfigur am Anfang des 18. Jahrhunderts.
Allerdings waren diese Figuren meist sehr steif und ungelenk graviert.
Wichtig war den Herstellern, daß die Figuren zum aktuellen Geschehen
ausgeliefert werden konnten.
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Denn so war man in der Lage, die Ereignisse auf
den Schlachtfeldern in der eigenen Wohnstube nachzustellen. Besonders die
Kriegszüge Friedrich des Großen und die Napoleons sorgten für
einen gewaltigen Aufschwung in der Produktion von Zinnsoldaten.
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Die Begeisterung für die Zinnfigur finden wir auch bei den deutschen Dichtern wie:
Goethe, E. T. A. Hoffmann, Nikolaus Lenau , Joachim Ringelnatz und dem
dänische Märchendichter Christian Anderson.
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Neben den militärischen Motiven erscheinen jedoch
auch eine Reihe von zivilen Figuren ... die Geburt Christi,
Bauernhof, Reise ins Gebirge, Seebad, Kleinstadt,
Nürnberger Christkindles Markt, die Erste Nürnberger Eisenbahn,
Schäferszene Weihnachtsmarkt und andere.
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Um 1848 lieferte die Firma Heinrichsen aus Nürnberg ihre Zinnfiguren in einer Höhe von drei Zentimetern und in flacher Form aus. Verpackt in Spanschachteln |
traten sie ihren Weg in die ganze Welt an. Diese Nürnberger Größe wird 1924 als internationale Größe anerkannt im Gegensatz zu der Hannoveraner Größe von vier Zentimetern.
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Die Armee aus der Spanschachtel |
Zinnfiguren wurden damals nicht einzeln sondern in Packungen nach Gewicht verkauft.
Die Zusammenstellung des Inhalts wird von der Firma bestimmt. Sonderwünsche können
nicht berücksichtigt werden.
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Wollte man eine besondere Figur nach eigenen Entwürfen
haben, war dies gleichzeitig mit einer Bestellung von 3000 Figuren dieser einen Figur
verbunden.
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Ein ganzer Berufsstand muß sich umstellen
Wenn auch Nürnberg weiterhin das Zentrum der Massenproduktion
von Zinnfiguren blieb, so entwickelten sich auch weiter nördlich Zinnoffizine
(Werkstätten). Das Zinngeschirr, auch als Silber des 'Kleinen Mannes' bezeichnet,
verschwindet jedoch allmählich vom Markt, weil auch die breiten Massen dem
Porzellan den Vorzug gaben. Viele Kandelgießer mußten ihre Produktion auf Zinnfigurengießen umstellen, wollten sie nicht verarmen.
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In Hannover waren es die Gebrüder Rieche, die neben ihren vier Zentimeter Figuren auch die etwas kleinere Größe von 3 Zentimetern herstellten. In Celle verstarb 1940 der letzte Celler Zinngießer Heine vormals Richter.Seine Figuren werden heute im Bohmann Museum Celle aufbewahrt. In Lüneburg selbst lebten im 19. Jahrhundert bis zu zehn Zinngießermeister die neben Geschirr für Puppenküchen auch Zinnfiguren herstellten. |
Typische Rieche-Figur.
Heutzutage sind diese Figuren sehr gesucht, da keine Riecheformen mehr existieren. Durch Bombenangriffe im 2. Weltkrieg wurde die Riecheproduktion völlig zerstört. |
Zu Beginn unseres Jahrhunderts wendet man sich immer mehr der Zinnfigur als Sammelobjekt zu. Die Sammelleidenschaft beschränkt sich zunächst auf Masse. Je mehr jedoch die einzelne Figur in den Vordergrund rückt, desto häufiger stört die recht einfache Fabrikbemalung. Gleichzeitig wird auch die Gravur immer mehr in den Brennpunkt
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kritischer Blicke gerückt. Einige Sammler gehen dazu über, die alte Farbe abzuwaschen und durch eine künstlerisch feinere und historisch genauere Bemalung zu ersetzen. Damit entstehen Sammlerobjekte, die weniger für das Spiel gedacht sind als vielmehr die kulturhistorische Bedeutung in den Vordergrund rücken.
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Die Zinnfigurensammler
Im Zuge dieser Entwicklung bildete sich 1924 der Deutsche Zinnfigurenssammlerbund "Klio". Fortan wurden die Sammler aktiv. Nach ihren Wünschen wurden
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bestimmte Serien herausgegeben. Zuerst waren eingehende Studien nötig, um danach Zeichnungen anfertigen lassen und Formen in Auftrag zu geben.
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Beispielhaft sei hier Friedrich Schirmer aus Burgdorf bei Hannover erwähnt. Im Jahre 1911 kann ihn sein Lehrer für Zinnfiguren begeistern. Als 12jähriger sammelt er Heinrichsen -Figuren. Seit 1920 Lehrer in Celle und Eschede wird er 1935 als Realschulehrer nach Burgdorf versetzt. Zinnfiguren werden von ihm ganz selbstverständlich im Unterricht eingesetzt.
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Mit seinen Wanderausstellungen gewinnt er viele Freunde und gehört zu den Gründern der "Klio". Er widmet sich dem Studium der Hannoverschen Armee, verfaßt Bücher, gibt Bildtafeln und Zinnfiguren heraus. So wird Schirmer selbst "Vater" vieler neuer Zinnfiguren und gewinnt neue Freunde für die Zinnfigur.
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In seinem Werk "Umgang mit Zinnfiguren", |
Die Idee, eine neue Zinnfigur herauszugeben, ist schnell geboren. Das Studium von historischen Quellen meist ein zeitraubendes Unterfangen. Wehe dem Herausgeber, dem beim Abzählen der Uniformknöpfe ein Fehler unterlief. Detailtreue ist heute ein wesentliches Merkmal, ganz im Gegensatz zu den Massenfiguren, der 20iger Jahre. Dem Zeichner fällt die Aufgabe zu, eine Zeichnung mit Vorder- und Rückseite zu entwerfen. Der Reliefgraveur ritzt nun die flache Figur mit Vorder- und Rückseite in zwei plangeschliffene Schiefersteine. Durch Noppen, paßgenau zusammengefügt, entsteht zwischen ihnen die flache Hohlform , in die durch einen Gußkanal später das flüssige Zinn in die Form eindringt und sich in alle Hohlräume verbreitet. Das gelingt aber nur, wenn die dort befindliche Luft schnell genug entweichen kann. Deshalb finden sich fast überlall feine Luftkanäle , die wie ein Spinnennetz die Figur einrahmen. |
So entstanden auch die Figuren zu dem Diorama (Guckkasten) "
Das Gericht der Werwölfe".
Die Idee dazu lieferten Friedrich Schirmer und
Rudolf Grünewald, die Zeichnungen fertigte
der Hamburger Künstler und
Grafiker Karl Heinrich und Hans-G. Lecke gravierte die Figuren in Schiefer.
Ausschnitt aus dem Schaukasten "Das Gericht der Werwölfe" |
In seinem Roman "Der Werwolf" schildert Hermann Löns die Not
der Bauern im Dreißigjährigen Krieg. So zogen auch im Burgdorfer
Land Soldaten plündernd, brandschatzend und mordend umher.
Unter ihrem Anführer Harm Wulf gelang es den Bauern, einige
besonders brutale Söldner heimlich gefangen zu nehmen, um sie
einer gerechten Strafe zuzuführen.
In der dargestellten Szene wird gerade das Urteil gesprochen:
"Dennso haben wir befunden, daß sie beide um ihre Hälse eine Wiede haben sollen und aufgehängt werden sollen sieben Schuh höher, denn ein gemeiner Schandkerl, und zwischen den Äsern von einem verreckten Köter und einer gefallenen Sau, bis sie tot sind..." |
Friedrich Schirmer schuf ungezählte Dioramen und hinterließ der Stadt Burgdorf
einen großen Fundus. Unter den heute ca. 100 Dioramen der Burgdorfer Zinnfiguren, die sich
alle im kommunalen Besitz der Stadt Burgdorf befinden, zählt dieses Diorama zu den Klassikern der Schaukastenerstellung.
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Vertieft man sich in das dargestellte Bild glaubt
man als Zuschauer dieser Hinrichtung beizuwohnen. Ein kleiner Heidehügel mit Galgen,
davor die Deliquenten umgeben von den Werwölfen läßt das Geschehen um
die Urteilsverkündung lebendig werden.
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Wie sagte doch Joachim Ringelnatz in seinem bekannten Gedicht u.a.:
"Sinnvoll mit Liebe aufgestellt,
Zeigt das im Kleinen große Welt.
Wenn das uns Alten noch gefällt,
Will das für mich bedeuten:
Die Zinnfiguren sind
Verbindung zwischen Kunst und Kind
Und uns den alten Leuten."
Wer diese Verbindung zwischen "Kunst und Kind" erleben möchte, der sollte doch mal im Burgdorfer Stadtmuseum vorbeischauen. Generell ist das Museum am Sonnabend und Sonntag von 14 Uhr bis 17 Uhr bei freiem Eintritt geöffnet.
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Auskünfte erteilt der Verkehrs-und Verschönerungsverein der Stadt Burgdorf unter
der Rufnummer 05136-1862.
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Horst Hübner